wolfgang schumacher
Marc Adomat, Kulturdezernent der Stadt Leverkusen Eröffnungsrede zur Ausstellung im Industriemuseum Freudenthaler Sensenhammer, Leverkusen 2010 (Auszüge) „Man kann mit dem Auto durch die Stadt fahren, kann sie vom Flugzeug aus betrachten, schließlich die abenteuerliche Perspektive des Radfahrens wählen, aber die abenteuerlichste bleibt die des Fußgängers, der gelegentlich die Straßenbahn benutzt: Er taucht in die Bevölkerung ein wie ein Element, er nimmt an ihrem Leben teil, an ihrem Alltag, und dieses Erlebnis nimmt ihm das ein wenig befremdende Gefühl, ein Tourist zu sein.“ Wolfgang Schumacher eignet sich diese Methode, 1953 von Heinrich Böll in seinem Text „Köln eine Stadt nebenbei eine Großstadt“ beschrieben, an. In zwei großen Werkserien erschloss er sich die Stadträume Kölns bei Tag und bei Nacht. Kölner oder andere Menschen tauchen in diesen Stadtlandschaften nur sehr vereinzelt oder gar nicht auf. Ganz anders in der neueren, hier präsentierten Serie „Menschenmassen“. Hier übt sich der Maler wahrlich um es nochmals mit Böll zu sagen im „Eintauchen“ in die Bevölkerung. Und mit ihm taucht der Betrachter ein, quasi als „Tourist“ ist er Teil großer Menschenansammlungen bei Umzügen, Demonstrationen oder Sportgroßveranstaltungen. Er mischt sich in Zuschauermengen auf der Straße oder im Museum, gesellt sich an einen von unzähligen Tischen im Biergarten. Da Wolfgang Schumacher uns als Betrachter mitten hinein versetzt, verlieren wir vielleicht das befremdende Gefühl, Tourist zu sein. Doch wo wir uns in den einzelnen Bildern befinden, ist schwer auszumachen. Hinweise auf Köln oder Burscheid, Paris, Kassel oder München, auf Ort und Zeit des Geschehens, geben allein die Bildtitel. Und so wie der Maler die Hintergründe im Vagen belässt und eine eindeutige lokale Zuordnung unterbindet, so verweigern sich auch die Menschen in der Masse einer Identifizierung. Sie wenden uns den Rücken zu, tragen Sonnenbrillen oder sind im malerischen Duktus schlicht so skizzenhaft gehalten, dass wir an keinem Gesicht hängen bleiben, kein einzelnes Gegenüber erkennen. Das Individuelle wird zurückgedrängt zugunsten der Wahrnehmung einer „Masse Mensch“. In diese Menschenmengen tauchen wir „wie ein Element“ von vielen ein und zugleich besinnen wir uns wieder auf unseren Standpunkt vor dem Bild betrachten wir die Masse als vielteiliges Ganzes: In ihren wogenden Bewegungen, ihrer je eigenen Dynamik, in der Vielfalt von Formen und Farben, in einer faszinierenden Ästhetik der Fülle, an der man sich so schnell nicht satt sieht. Der Blick schweift über das Ganze, verharrt kurz bei einem Detail, um weiter zu springen und den Bildraum auszumessen, bis an seine Ränder zu erkunden. Es sind komplexe Bilder, die einerseits Fotografien ähneln, indem sie durch die Wahl eines Moments und eines bestimmten Ausschnitts Teile aus einem größeren Ereignis herausgreifen. Andererseits scheinen sie aber auch von Wolfgang Schumacher als Bilder komponiert zu sein, womit der Maler unseren Blick schärft für die vielgestaltigen Konstellationen von Menschen, die wie Bildeinheiten oder Farbpartikel massenhaft arrangiert scheinen: eine Art malerischer Choreographie der Massen. Noch leer, als leere, neu zu bespielende Bühnen, erscheinen dagegen die Räume in Schumachers Industriearchitekturen und -landschaften. So heißt auch einer Serie von 2007/08 „Bühnenlandschaften“. In ihnen zeigt der Maler heutigen Bühnebildnern alternative Orte der Inszenierung von Richard Wagners „Ring“ auf. In Stahl- und Bergwerken, in aufgelassenen Industriehallen tun sich ganz neue Spielstätten auf, die Wagners Musikdramen in veränderte, aktuelle Kontexte stellen. Ohne die Geschichten von Walküren und Nibelungen figurativ auszumalen, zeigt Schumacher das Potenzial dieser Orte auf, ein ebenso malerisches wie dramatisches Potential, die Fähigkeit zur Verwandlung, die sich in der Region zwischen Rhein und Ruhr, Ruhr und Dhünn, nicht erst anlässlich der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 offenbart. Ohne dass er die Walküren etwa auftreten lässt, verleiht er diesen Orten poetische oder dramatische Akzente, verdichtet ihre sinnliche Präsenz. Mit malerischen Lichteffekten sind die Industriegebäude in Szene gesetzt, in spannungsvoller Erwartung der neuen, kunstsinnigen Akteure, die sich dort einfinden, möglicherweise auch von Gesamtkunstwerken nach Wagners Gusto Rheingold am Ruhrdeich, Siegfried auf der Braunkohlehalde, Götterdämmerung in der Zeche Zollverein. Über Bilder von Industriearchitektur und industriellen Prozessen sowie über den gezielten Einsatz von Licht konnte Wolfgang Schumacher, 1957 in Opladen geboren, schon als Kind viel in der Dunkelkammer seines Vaters lernen, der als Werksfotograf für die ehemalige Stahlfabrik Wuppermann arbeitete. Heute ist es der Charme des Morbiden in Industriebrachen und stillgelegten Fabriken, der den Maler anzieht. Und wie sehr er sich vom dokumentarischen Ansatz der Fotografie, vom mehr oder weniger streng Abbildhaften des fotografischen Mediums entfernt hat, zeigen seine neuen Bilder von Industrie-Details. Wie bereits in früheren Arbeiten, Landschaftsbildern oder Stadtansichten, folgt der Maler auch hier zunächst mit sicherer Pinselführung ein Stückweit dem Ansatz fotorealistischer Genauigkeit. Dann allerdings geht er über diesen hinaus, überhöht den Realismus, indem er die dargestellten Maschinen und Geräte mit malerischen Mitteln quasi nochmals in Gebrauch nimmt, sie nochmals dem Verschleiß aussetzt, den sie über die Jahrzehnte erfahren haben. Auf der Bildoberfläche fügt er ihnen Kratzspuren zu, beschädigt die aufgetragenen Farbschichten, fügt ihnen Verletzungen zu. Durch die Beimischung von Rostpartikeln und anderen Materialien zur Ölfarbe erproben diese gemalten Ansichten einen Zugriff auf die dargestellte spätindustrielle Architektur, der nicht nur auf der Ebene der motivischen Darstellung, sondern schon auf der materiellen Ebene des Bildes von deren besonderem Charakter, von ihrer Geschichte spricht. Wolfgang Schumacher, der gerne die besondere Perspektive wählt, das ungewöhnliche Licht, das manche Szenerien zuweilen surrealistisch wirken lässt, führt unseren Blick in dieser Serie immer wieder ganz nah heran. Zwar bleibt er dem Realismus der Orte verbunden, belässt ihnen einen gewissen Wiedererkennungswert. Doch diese Nahsichten auf ausgediente Industrie(denkmäler) zwingen den Betrachter zum genauen Hinsehen, sie haben fast etwas Intimes. Wie das Gesicht oder die Hände einer alten Frau zeigen die Oberflächen dieser Industriedetails die Spuren eines langen Lebens. Der zweite, subjektive Blick mag zuweilen auch unter diese Oberflächen dringen und mit Wolfgang Schumacher so etwas wie die Seele des Reviers freilegen.